Überraschender Teltowkanal: Blaues Band durch Berlins Süden
Berlin wurde vom Wasser aus gebaut: So durchziehen die Stadt so viele Flüsse und Kanäle, dass sie mehr Brücken hat als Venedig. Überraschendstes Gewässer ist der fast 40 Kilometer lange Teltowkanal im Süden, der sich mit der Deindustrialisierung mächtig herausgeputzt und begrünt hat. Folge uns zum ersten Flugplatz, auf die Rad- und Skate-Autobahn, zum altehrwürdigen Ullsteinhaus, zur japanischen Kirschblüte, entdecke die Burgen von Kleinmachnow und roll die Decke aus an einem der Havelseen.
Diese Tour ist Teil der Ausflugsserie „Wasser, Wald, Wonne“: Mit dem Rad zur „jrünen“ Seite Berlins
Die Tour beginnt an einem der ältesten Flughäfen Deutschlands, dem Flugplatz Johannisthal: Mit den Wright, Albatros, Zeppelin oder Fokker stationierten hier zahlreiche Pioniere der Luftfahrt ihre Fluggefährte. Schon 1923 verlagerte sich der Flugverkehr zum neuen Zentralflughafen Tempelhof. Die Hangars waren beliebte Filmstudios. Erst 1995 schloss der viel zu kleine Flugplatz offiziell. Der Aerodynamische Park mit Trudelturm, Windkanal, schallgedämpften Motorenprüfstand sind die verbliebenen Zeugen. Entstanden ist eine weitläufige Weide- und Wiesenlandschaft mit Stegen und Schafen. Vorbei an den Instituten und Laboratorien der Wissenschaftsstadt Adlershof (auf den früheren Geländen des DDR-Fernsehens und des Wachregiment „Feliks Dzierzynski“) erreichen wir am Havestadtplatz den Teltowkanal.
Der Stadtautobahn A113 und dem Teltowkanal folgt die schnurgerade und feinkörnig asphaltierte „Radautobahn“ dem früheren Mauerverlauf – perfekt zum Aufdrehen mit Rad und Skates. Bald erreichen wir eine stählerne Fachwerkbrücke. Sie ist die Späthstraßenbrücke und benannt nach den namensgebenden, traditionsreichen Späthschen Baumschulen zwischen Britz und Baumschulenweg. Mit dem Umzug in den 1860ern von Kreuzberg wurde sie mit schließlich 120 Hektar zur größten Baumschule der Welt. Das repräsentative Herrenhaus ist heute Institut der Humboldt-Universität, zu der inzwischen auch das Aboretum mit seinen zahlreichen, seltenen Pflanzen gehört, das 1879 als englischer Landschaftspark angelegt wurde.
Die Baumschulenstraße führt geradewegs zur früheren Ablage (einst Schiffsverladung) an der Spree – und heute Fähranleger und Ausgangspunkt für Spaziergänge durch Plänterwald und Treptower Park. Der Plänterwald, ebenso wie die Königsheide in Johannisthal und die Köllnische Heide in Adlershof sind die letzten Waldstücke der zuvor gerodeten Fläche der einst großflächigen Cöllnischen Heide.
Nach einigen Umwegen durch’s Industriegebiet Tempelhof erreichen wir den Tempelhofer Hafen. Im alten Lagerhaus mit seinen Kränen und Gütergleisen befindet sich heute ein Einkaufszentrum. Im Hafenbecken eine Marina für Sportboote mit Café, Uferpromenade und Bänken. Gegenüber das mächtige Ullsteinhaus von 1925 (bis in die 1950er höchstes Hochhaus Deutschlands) einst gebaut für den Ullstein-Verlag und sein Druckhaus, an den noch die Ullstein-Eule am Haupteingang erinnert. Heute ist das Gebäude im Besitz der wohlhabenden Samwer-Brüder (die den Start-up-Inkubator Rocket Internet gründeten) und Sitz zahlreicher Start-ups und Dienstleistungsunternehmen v.a. im Mobilitätssektor. In der Drivery, Europas größtem Start-up-Hubs für Mobilität in Europa, wird u.a. am autonomen Fahren getüftelt. An der Jelbi-Station U Ullsteinstraße können Mieträder/-roller für Kanaltouren gemietet werden.
Neben dem Steglitzer Hafen und dem Heizkraftwerk befindet sich das ehrenamtlich betriebene Berliner Energie-Museum, das an historischen Exponaten die Elektrifizierung und „Erleuchtung“ der Hauptstadt. Gegenüber, gleich neben dem markanten Benjamin-Franklin-Krankenhaus der Charité, mündet der schmale Bäkefließ am Ende des Bäke-Parks in den Teltowkanal. Die 1900-1906 errichtete Wasserstraße folgt westwärts dem einstigen Bachtal. Vielleicht wird es auch deshalb rechts und links immer grüner.
Die Uferwege sind oftmals alte Eisenbahntrassen der Treidelbahnen. Kleine, elektrische Lokomotiven von Siemens & Halske zogen die Schiffe, zum Schutz der sandigen Sohle und zur Rauchvermeidung. Am Kanalanfang und -ende querten sie die Brücken und konnten so im Ringbetrieb fahren. Wendestelle war auch die heutige Emil-Schulz-Brücke am Hafen Lichterfelde, an der noch eine Treidellok im benachbarten Park steht.
An einigen Tagen im Frühjahr – zur verzaubernden Kirschblüte – lohnt ein Abstecher auf den Mauerweg, der zwischen Lichterfelde und Teltow von einem japanischen Fernsehsender mit Kirschbäumen bepflanzt wurde. In romantischen Rosa, saftigen Hellgrün und zartem Weiß stahlt die Kirschbaumallee vor allem Mitte/Ende April – je nach Wetterlage. In Zeiten ohne Pandemie findet das große „Japanische Kirschblütenfest Hanami“ mit Musik und Bühnenprogramm statt. Sei rechtzeitig dabei, ehe nach wenigen Wochen der Wind alle Blüten verweht hat.
Im Südzipfel West-Berlins, von drei Seiten abgegrenzt von Bahntrasse und Berliner Mauer, hat sich nach dem durch die Sowjets niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953 die alliierte US Army einen Truppenübungsplatz eingerichtet: Es entstand die US-Geisterstadt Doughboy City, um den Häuserkampf zu üben. Mit nachgebauten Straßenzügen und U-Bahnhof mit einem ausrangierten U-Bahnwagen, der als Befehlsstand diente. Mit Schieß-, Straßenkampf- und Hubschrauberflug-Übungen. Seit dem Rückbau holt sich das verwaiste Weideland die Natur zurück. Bald sollen hier im Bauprojekt Neu-Lichterfelde tausende Wohnungen entstehen.
In Kleinmachnow, am Machnower See, weicht das Bäke-Tal vom Teltowkanal ab: Hier befinden sich die Reste des Dorfangers mit Dorfkirche, Medusentor zum einstigen Rittergut und den Fundamenten des Herrenhauses und der Alten Hakeburg. 1906-1908 entstand auf der gegenüberliegenden Seeseite auf einer Anhöhe die neoromanische Neue Hakeburg. Schon nach 30 Jahren musste die Familie das Burgensemble wegen finanzieller Probleme verkaufen, es wurde Forschungsanstalt der Reichspost, SED-Parteihochschule und SED-Gästehaus. Ein neuer Betreiber fehlt bis heute. Stattdessen wurde die Hakeburg zum Drehort für Fernsehfilme und Telenovelas.
Markenzeichen des Teltowkanals ist die 1906 vom Kaiser Wilhelm II. eingeweihte Doppelkammerschleuse mit ihren mächtigen Brückenbauten der Hubtore. Weil die beiden Doppelkammern bald zu klein wurden, entstand auf der Nordseite eine weitere 185 Meter lange Schleusenkammer aufgrund der Wasserstraßen-Ausbaupläne Albert Speers. Nun konnten die in Tempelhof gefertigten Druckkörper für U-Boote in die Nordsee-Werften verschifft werden. Auf der Südseite erinnert eine alte Straßenbahn an die traditionsreiche Vorstadtlinie 96 nach Stahnsdorf.
An Relikte des Verkehrs erinnern auch die ehemalige Autobahnbrücke (bis zur Begradigung der Autobahn 1969 befand sich hier der DDR-Grenzübergang Drewitz an den Fahrbahnmarkierungen und Fahnenmasten erinnern) und die Widerlager der Friedhofsbahnbrücke der S-Bahn nach Stahnsdorf. In Kohlhasenbrück können wir weiter westwärts am Griebnitzsee entlang zum Schlosspark Babelsberg und zur Glienicker Brücke radeln oder nordwärts am Stölpchensee, Pohlsee und Kleinen Wannsee zur S-Bahn.
Falls es das Wetter und Deine Zeit erlauben, dann stimm mit ein: „Pack die Badehose aus, nimm dein kleines Schwesterlein, und dann nischt wie raus nach Wannsee“. Nur noch zwei, drei Kilometer sind es zum größten Freibad Berlins. Öffnet sich hinter dem Kassengebäude der Hangblick auf den See, versprüht das Strandbad fast ein wenig mediterranes Flair mit seinem feinen Sandstrand, den weißen Segelbooten auf dem Wasser und den Villen und Wäldern auf der gegenüberliegenden Uferseite. Ein paar Stunden am Wannsee ist Urlaub für einen Tag. Lauf hinter zum FKK-Strand, bis zum Saisonende sind dort in den vergangenen Jahren immer eindrucksvolle Sandburgenstädte entstanden.
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