Tiefster und klarster See am alten Kernkraftwerk: Fontanes Stechlin

Es ist einer Tour mit großem Gegensatz: Eben wandern wir durch weite Wälder, an tiefen Seen und klaren Bächen, durch die alte Heimat den großen Dichters Theodor Fontane … und dann das: Plötzlich stehen wir mitten im Wald vor einem ehemaligen Kernkraftwerk. Der erste kommerzielle Reaktor der DDR aus den 1960er Jahren überragt die Wipfel. Die einsame Natur und die tiefen Waldseen der Rheinsberger Seenplatte booten einst beste Bedingungen zur Stromerzeugung. Verbunden durch eine vergessene Werkbahn. Und längst stillgelegt und mitten im Rückbaus.

Gerade einmal eine Stunden benötigt der Regionalexpress RE 5 von Berlin bis Gransee. Viel zu wenig Zeit, um in den beiden Büchern Theodor Fontanes zu blättern, die diese Gegend bekannt gemacht haben: „Die Grafschaft Ruppin“ (Wanderungen durch die Mark) und „Der Stechlin“.

Gransee war eine feste Stadt, vielleicht die festeste der Grafschaft“, notierte der Dichter dort. Fast unbeschadet blieb die mittelalterliche Stadtmauer mit den beiden Stadttoren und Wehranlagen erhalten. Sie schützt den historischen Stadtkern mit all den sehenswerten Bürgerhäusern. Lass uns also zuerst die Altstadt erkunden, ehe es zum eigentlichen Startpunkt weitergeht.

Die festeste Stadt in der Grafschaft Ruppin

Ein Zeugnis des Mittelalters ist die Stadtkirche St. Marien – ein gewaltiger Backsteinbau mit drei Schiffen und monumentalem Giebel. Eine Besonderheit sind die beiden Kirchtürme: Der eine Turm ist aus Holz, der andere aus Stein. Im steinernen Turm befinden sich die „vier Glocken mit dem harmonischen Geläut“ wie Fontane schon sagte, diesen können Besucher besteigen und die Altstadt von oben bestaunen. Die Stadt mit ihren rechtwinkligen Straßen und Karrees wurde im 18. Jahrhundert als Planstadt wiedererrichtet.

Die Stadtmauer von Gransee ist 1.750 Meter lang und fast vollständig erhalten. Beeindruckend ist das Ruppiner Tor mit seiner spätgotischen Backsteinarchitektur. Im Torgebäude zeigt eine Galerie wechselnde Ausstellungen. Als begehbare Ruine erhalten ist das während der Reformation aufgelöste Franziskanerkloster aus dem 13. Jahrhundert. 

Schinkels Denkmal für die Königin der Herzen

Königin Luise von Preußen, jung verstorben, eroberte die Herzen der Granseer. Auf dem Schinkelplatz vor der Kirche setzen sie ihr ein bemerkenswertes Monument: Da die Strecke vom Sterbeort Hohenzieritz in Mecklenburg nach Berlin nicht an einem Tag zu bewältigen war, machte der Trauerzug in Gransee Station.

In der Nacht vom 25. zum 26. Juli 1810 wurde der Sarg auf dem Markt, dem heutigen Schinkelplatz, aufgebahrt. Die Bürger der Stadt Gransee wollten ihrer Königin an dieser Stelle ein Denkmal setzen und sammelten dafür Spenden. Karl Friedrich Schinkel lieferte den Entwurf, der von der Königlichen Eisengießerei Berlin umgesetzt wurde. Ein Jahr nach ihrem Tod wurde das Luisendendenkmal Gransee eingeweiht.

Am Wochenende und in den Ferien fährt der Bus auf Bestellung: Der Rufbus 836. Anderthalb Stunden vorher beim Verkehrsunternehmen anrufen, Start und Ziel durchgeben, dann kommt der Bus. Ganz ohne Aufpreis. Mitten in der Altstadt von Gransee befindet sich die Haltestelle Kirchplatz.

Spielerisch Natur erleben

Der Kleinbus fährt durch die schönen Alleen des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land ins kleine Dorf Menz. Sehenswert sind die alten Hofanlagen, die Heimatstube und die Feldsteinkirche von 1585. In der alten Oberförsterei ist das NaturParkHaus untergebracht. In dem Besucherzentrum finden jung und alt einen neuen, spielerischen Zugang zur Natur. Höhepunkte der Ausstellung sind zum Beispiel ein Tierstimmentelefon, eine Moortreppe oder ein Fahrstuhl zum Seegrund.

Der Künstlerhof Roofensee ist durch umfangreiche Sanierungsarbeiten ein noch vollständig erhaltener märkischer Vierseithof. Sie finden hier eine lichtdurchflutete Kunstscheune inkl. großzügiger Galerie mit wechselnden Kunstausstellungen, Events und einem gemütlichen Café.

Der Wanderweg führt am Roofensee und Polzowkanal entlang durch die Menzer Heide. Das mäandrierende Polzowfließ wurde 1745 unter Friedrich dem Großen zum gradlinigen Polzowkanal ausgebaut. Dadurch konnte Berlin über die Havel mit Holz aus der Menzer Heide versorgt werden. Nur 40 Jahre währte die Flößerei, der Kanal versandete, wurde zum seichten Gewässer und seit den 1990er Jahren mit den alten Mäandern wieder renaturiert.

Wir folgen zunächst dem Moorerlebnispfad (Gelber Streifen). Wer ein bisschen Puste hat, kann den kleinen Umweg (2-3 km) zu den Mooren am Großen und Kleinen Barschsee machen. Über den Krummen Damm geht’s zurück zum Polzowkanal. Bald darauf der Teufelssee und der Nehmitzsee. Im Wald versteckt ruht noch der Gerlinsee. Die Gewässer gehören zum Rheinsberger Seengebiet, einem der größten Wald- und Seengebiete Brandenburgs. Es ist der Südausfläufer der Mecklenburgischen Seenplatte.

Im Wald verstecktes Kernkraftwerk

Bald darauf ist ein stillgelegtes Werksgelände erreicht: Jahrzehntelang waren der zehn Kilometer lange Abschnitt und der Bahnhof streng geheim. Denn auf der Landzunge zwischen Stechlin- und Nehmitzsee wurde in den 1960er Jahren das Kernkraftwerk Rheinsberg errichtet. Es gehörte zur weltweit ersten Generation von Forschungs- und Versuchskraftwerken für die Stromerzeugung – mit dem ersten von der Sowjetunion exportierten Kernreaktor. Ein früher Vorvorgänger von Tschernobyl. 70 MW Strom hatte es pro Jahr produziert. Der radioaktive Abfall wurde ins Zwischenlager Lubmin bei Greifwald verbracht. Seit 1995 wird es zurückgebaut. Die Natur ringsum konnte sich ungestört entfalten.

Um im Fall des Falles auszuschließen, dass radioaktives Kühlwasser in einen Fluss gelangen könnte, wurde ein Standort mit einem abgeschlossenen Wasserkreislauf gesucht und gefunden. Das Kernkraftwerk liegt zwischen Nehmitzsee und Stechlinsee. Das Kühlwasser wurde westlich aus dem Nehmitzsee geholt und erwärmt in den östlich gelegenen Stechlinsee abgelassen. Die beiden Seen wurden ein Stück weiter südlich durch einen Kanal verbunden, sodass das Wasser in einem ewigen Kreislauf durch das KKW gepumpt werden konnte. Und zwar 300 Millionen Liter pro Tag und das über 20 Jahre lang.

Um die Auswirkungen der Gewässererwärmung zu untersuchen wurden eine Messstation und hydrologisches Institut am Seeufer an der „Alten Fischerhütte“ errichtet. Die Fischer wiederum mussten auf die andere Seite des Sees umziehen. Ihr Betrieb lag in der Sperrzone: In 3 km um das Kernkraftwerk durfte niemand anderes arbeiten oder wohnen.

In der Bucht, in die das Kühlwasser eingeleitet wurde, hatte das Wasser im Frühjahr schon 20 Grad. Immer wieder kamen Besucher mit dem Boot zum Baden hin. Über den gesamten See verteilt hatte sich die Wassertemperatur dauerhaft um etwa anderthalb Grad erhöht. Der Stechlin scheint das erstaunlich gut überstanden zu haben. Allerdings hat sich der See in den letzten Jahren wohl wegen des Klimawandels inzwischen wieder auf das Niveau während des KKW-Betriebs erwärmt.

Die Niederbarnimer Eisenbahn bietet zeitweise Sonderfahrten vom/zum Bahnhof Rheinsberg an – und hat dazu ein Faltblatt mit Wanderwegen herausgebracht. Die Züge enden am früheren Werksbahnhof auf der anderen Seite des Werksgeländes. Dieser ist über einen kleinen Umweg über eine provisorische Fußgängerbrücke über den Zulauf zum Nehmitzsee zu erreichen. Von dort fuhren auch die 650 Beschäftigten in die naheliegende Werkssiedlung in Rheinsberg.

Der tiefste und klarste See

Am buchtenreichen Ufer des Großen Stechlinsees geht’s nach Neuglobsow. Er ist für seine exzellente Wasserqualität bekannt und mit 70 Metern der tiefste See Brandenburgs. Die flachen Strände machen ihn zu einem beliebten Badesee und einem hervorragenden Tauchplatz. Schon Fontane wanderte hier durch den Buchenwald.

Der Name Stechlin soll sich von steklo, dem slawischen Wort für Glas, herleiten. Und so war das Dorf geprägt von einer Glashütte und der Fischerei. Das Märkische Glasmuseum im Glasmacherhaus Neuglobsow erinnert in einem der Fachwerkhäuser der Glashüttenarbeiter an die über 220jährige Tradition.

Eine Spezialität der Gegend empfiehlt sich in einem der Restaurants: Die kleine Maräne. Lassen Sie sich erzählen, warum der Fisch auch „Quietschbauch“ genannt wird und warum die Fischer mit Erfurcht vor dem Roten Hahn auf den See fuhren.

Von Neuglobsow fahren gleich zwei Rufbusse zurück zum Regionalexpress: Die Linie 836 fährt wieder zum Bahnhof Gransee (50 min). Viel schneller ist die Linie 839: Der Kleinbus braucht eine Viertelstunde zum Bahnhof Fürstenberg/Havel. Dort befindet sich mit Ahoi Rad ein Fahrradverleih direkt im Bahnhof am Gleis 1, um die Tour auf dem Drahtesel zu vollziehen. Auch SUP zum Stand-Up-Paddeln auf einem der zahlreichen Seen sind zu haben.

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Mit Bus und Bahn an den Stechlin

Der Regionalexpress RE 5 der Deutschen Bahn fährt jede Stunde von Berlin nach Gransee und Fürstenberg/Havel. Alle Fahrpreise und Fahrpläne beim Verkehrsverbund VBB.

Von Gransee fährt die Buslinie 836 nach Menz und Neuglobsow. Von Neuglobsow verkehrt die Buslinie 836 zum Bahnhof Gransee (50 min) und die Buslinie 839 zum Bahnhof Fürstenberg (15 min).

Am Wochenende und in den Ferien auf beiden Buslinien Rufbusse auf Bestellung: Anderthalb Stunden vorher anrufen, Start und Ziel durchgeben, dann kommt der Bus. Ganz ohne Aufpreis.

Wanderweg Menz – ehem. Kernkraftwerk – Neuglobsow 18 km (Abkürzungen möglich)
Wanderkarte und weitere Infos in der Broschüre zum Moorerlebnispfad

Auf geht’s: Dein Fahrplan und Fahrpreis

 
 

Titelbild: Fotoarchiv Tourismus Marketing Brandenburg GmbH / Steffen Lehmann.

Michael Bartnik
Vor 20 Jahren, als ich in einem kleine Reisebüro Ferien verkaufte, brachte die Deutsche Bahn ihr legendäres Schönes-Wochenende-Ticket auf den Markt, das den Wochenendtrip viel erschwinglicher machte. Wir erfanden einen Reiseführer für Bahnausflüge.