Die drei Seen der Müggelberge: Eine Tour Berlins grünen Süden

Eine der überraschendsten Wanderungen oder Radtouren Berlins führt uns in die dichten Wälder Köpenicks zu Berlins höchstem (natürlichen) Höhenzug: Den bis zu 115 Meter hohen Müggelbergen. Die Tour führt an den Ufern des Langen Sees und des Müggelsee entlang. Mit Ausblick vom Müggelturm über Berlin. Und zum sagenhaften Teufelssee weit unten zu dessen Füßen. Wir passieren die Dahme mit der Fähre und unterqueren die Müggelspree durch einen schallenden Tunnel. Mit all ihren Stränden und Wasserblicken ist diese Tour perfekt für einen Badenachmittag in den Sonnenuntergang.

Diese Tour ist Teil der Ausflugsserie „Wasser, Wald, Wonne“: Mit dem Rad zur „jrünen“ Seite Berlins

Vom S-Bahnhof Grünau (1) geht’s durch die alte Villensiedlung geradewegs die Straßenbahngleise der Uferbahn entlang zum Fähranleger (2). Eine lautlose Solarfähre ist es, die uns über die Dahme bringt. Betrieben wird die „F12“ im Auftrag der BVG von der Reederei Stralsund, die sonst über den Strelasund nach Rügen oder Hiddensee schippert. Vielen Fährmännern hört man ihren nordischen Akzent noch an.

Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten. Sie erlaubt einen wunderbaren Blick übers Wasser. Mit all den historischen Bootshäusern und Ufervillen. Und auf die 2.000 Meter lange Regattastrecke mit ihren sechs Ruderbahnen und neun Kanubahnen. Die erste Segelregatta fand hier schon 1868 statt. Großes Spektakel war die jährliche „Große Grünauer Regatta“, deren Wanderpokal Kaiser Wilhelm verlieht. Bei sommerlichen „Kaiserwetter“ kamen ganze 50.000 Besucher aus der Hauptstadt. Weltweit berühmt wurde die Strecke als Wettkamport mit den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin.

In dem kleinen rotweißen Häuschen am Fähranleger in Wendenschloss wieder ist eine Gastwirtschaft eingezogen: Die Trattoria Di Mare (3) lädt zum Tourenauftakt zu einem Aperol Spritz oder einem Eis auf dem Liegestuhl im Strandsand. Oder auf dem Rückweg zu Pizza und Tiramisu.

Es geht vorbei an den beeindruckenden Villen von Wendenschloss zum idyllischen, gleichnamigen Strandbad (4). Der Name erinnert an die zahlreichen slawischen Völker lebten, die hier bis zur Kolonialisierung und Christianisierung durch die Deutschen. Geblieben sind nur noch die Namen – und viele Sagen, die die mystischen Orte umranken.

Tribüne, Bootshäuser, Bahnen: Die Regattastrecke in Grünau heute (Bild: Wikimedia/Brücke-Osteuropa)

Zu DDR-Zeiten war das Ufer des Langen Sees, wie die sich verbreiternde Dahme hier heißt, ein beliebtes Ausflugsziel der Hauptstädter. Die „Weiße Flotte“ fuhr mit vielen Schiffen zu den Ausflugsgaststätten am Seeufer auf ihrem Rundkurs von Köpenick durch den Langen See, den Gosener Kanal und den Müggelsee. Die erste ist der 1898  eröffnete Schmetterlingshorst (5) mit einst großem Gartenausschank unter Kastanien. Heute wird ein (sagen wir mal so) typischer Berliner Imbiss gereicht. Benannt ist die Waldgaststätte nach seiner schon zur Gründungszeit gezeigten Schmetterlingssammlung.

Bis heute ist sie die größte in Deutschland und wird in den historischen Hallen präsentiert. Von dort öffnet sich der Blick in den historischen, einst reich verzierten Tanzsaal: Man stelle sich die großartigen Bälle bei Blasmusik vor. Nur einen Kilometer weiter befand sich die Gaststätte Marienlust. Nach dem verheerenden Brand von 1997 sind nur noch die Grundmauern geblieben. Hier kann man sich kurz setzen, das Picknick auspacken und den Blick auf den See genießen. Auf der gegenüberliegenden Seite reihen sich die Strandkörbe am feinen Sand des Strandbads Grünau.

Nun ist der Waldstrand Wendenschloss erreicht (6): Ein versteckter FKK-Strand auf der Ostseite des Langen Sees. Wirf Dein Fahrrad beiseite und roll die Picknickdecke aus! Durch seine Lage bietet er einen der schönsten Sonnenuntergänge Berlins, wenn die Sonne langsam im Langen See, eingebettet zwischen den Wäldern auf beiden Uferseiten versinkt. Und dann weit ab der Großstadt eine besinnliche Ruhe einsetzt. Abends sind auch nur noch ein paar wenige Nachbarn aus Wendenschloss hier, die vermutlich bei jedem Wetter zu jeder Jahreszeit noch einige Bahnen ziehen.

Wer noch Lust hat, kann den Wanderweg am Seeufer weiter Richtung Krampenburg fortsetzen, wo am Wochenende die Fähre bis zum frühen Abend stündlich nach Karolinenhof übersetzt (Anschluss zur Uferbahn Tram 68). Oder du wanderst weiter am Ufer der langgestreckten, bewaldeten Bucht Großen Krampe nach Müggelheim (Anschluss bis spätabends zum Bus 169).

Weiter auf die Müggelberge. Sie sind – wie die meisten Erhebungen in der Mark – Aufschüttungen aus der letzten Eiszeit vor 100.000 bis 10.000 Jahren. Damals reichten die Gletscher zeitweise bis nach Brandenburg hinunter. Sie hinterließen hier einen bis zu 115 Meter hohen Höhenzug aus Großen und Kleinen Müggelbergen.

In den 1950er Jahren wollte hier die Deutsche Post den Berliner Fernsehturm errichten: Ein 130 Meter hoher Prachtbau mit Ausflugsplattform und Decknamen F4. Doch nach 3½ Jahren stoppte der Innenminister das Bauprojekt, weil es sich mitten in der Einflugschneise des nur acht Kilometer entfernten „DDR-Zentralflughafens Schönefeld“ befand. Geblieben ist der quadratische Sockelbau, der heute eine Radomkuppel und Mobilfunkmasten trägt und ein nur 30 Meter hoher Sendemast.

Ein Ausflugsturm mit großräumiger Gaststätte zu seinen Füßen ist dennoch entstanden: In der Silvesternacht 1961/62 eröffnete der ebenfalls 30 Meter hohe Müggelturm (7) mit seinen großen Panoramafenstern in jeder der neun Etagen im sachlich-gradlinigen Baustil der Moderne. Er war Gewinnerentwurf eines Architekturwettbewerbs der Berliner Zeitung (BZ), den ein Studentenkollektiv aus der Kunsthochschule Weißensee gewann. Im Rahmen des Nationales Aufbauwerkes spendete die Bevölkerung 130.000 Mark und leistete 3.700 freiwillige Arbeitsstunden.

An Feiertagen und Sommerwochenenden wimmelte es vor Besuchern in der HO-Gaststätte, der Weinstube und auf den Sonnenterrassen. Eine Viertelmillion Menschen kam jährlich. Die 126 Stufen den Turm hinauf werden von der zweitbesten Aussicht Berlins belohnt – nach dem Ausblick vom 1969 eröffneten Fernsehturm am Alexanderplatz. Der Blick reicht über die Seen und Wälder Köpenicks, die Tropical-Islands-Halle am Spreewald und die Hochhäuser Berlins bis zum West-Berliner Schwesterberg, dem gleichhohen Teufelsberg mit seinem einst amerikanischen Horchposten.

An den Erfolg aus DDR-Zeiten kann der Müggelturm nur schwer wieder anschließen. Mehrere Investoren legten teils schillernde, aber nie verwirklichte Konzepte vor. Langsam etabliert sich der Ausflugsbetrieb wieder – auch mit Konzerten vor dem Turm.

Die Treppe oder die Straße geht es wieder hinab: Zu Füßen der Müggelberge ruhen zwischen den Wipfeln des Waldes der verwunschene Teufelssee und das Teufelsmoor. Morgens und an Regentagen steigen Nebelschwaden über dem Gewässer auf und umranken die toten Birken des Moores. Ein Holzbretterweg führt quer durch bietet wahrlich fantastische Ausblicke auf diesen von Sagen umwobenen Ort: „Der Teufelssee hat auch seine Sage von einem untergegangenen Schloss und einer Prinzessin, die während der Johannisnacht aufsteigt und die gelben Teichrosen des Sees an den Saum ihres schwarzen Kleides steckt“, schrieb Theodor Fontane in seinen berühmten „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Die Prinzessin verwünscht und ist samt ihrem Palast im Moor versunken.

Ein Sagenbuch von 1900 erzählt eine der vielen Mythen um den Teufelssee: „So sah sie einst ein kleines Mädchen aus Köpenick, das in der Nähe mit seiner Mutter Beeren gesucht, von jener sich zu weit entfernt hatte und, da es dieselbe nicht wieder finden konnte, weinend im Wald umherirrte. Da hat es die Prinzessin mit sich hinunter genommen in ihr Schloss und reich beschenkt nach kurzer Zeit wieder heraufgebracht.“

Geradezu durch den Wald und über den Müggelheimer Damm geht’s zu einer der großen, traditionellen Ausflugsgaststätten am Müggelsee: Heute hat Rübezahl (9) ein Bistro, einen Biergarten, einen Bootsverleih und eine Eisbahn. Vom langen Steg schweift der Blick über Berlins größten See mit 7½ km², den Großen Müggelsee. Mehrmals täglich fahren von April bis Oktober Ausflugsdampfer der Stern- und Kreis-Schifffahrt nach Friedrichshagen, Alt-Köpenick oder zum Hafen Treptow.

Am Seeufer entlang führt ein Spazierweg und nebendran ein Radweg bis zum Spreetunnel (10). Es ist der Europaradweg E1 von London nach Moskau. Links zwei hübsche Badestellen. Rechts der Übergang nach Friedrichshagen: Als er 1927 eröffnet wurde, war es der erste Eisenbetontunnel, der in Senkbauweise errichtet und innerhalb je eines Monats mit Druckluft unter die Spree gepresst wurden. Damit die Ausflugsdampfer die einjährige Baustelle passieren konnten, wurde die Tunnelröhre in zwei Teilen versenkt. ½ Meter dick sind die wasserdichten Wände und 1½ Meter hoch ist Aufschüttung zwischen Tunnel und Spreegrund. Jetzt musst Du Dir nur noch ein Liedchen singen, mit dem Du den hallenden Tunnel erfüllst.

Auf der anderen Seite der Müggelspree erheben sich die eindrucksvollen Gebäude der ehemaligen Bürgerbräu-Brauerei – mit den markanten Bogenfenstern der Brauhallen, den Gär- und Lagerhallen, dem Schornstein und der Brauereivilla. 2010 stellte die Brauerei ihre Produktion ein. Zwischenzeitlich flossen hier 300.000 Hektoliter Pils, Bockbier, Schwarzbier, natürlich Berliner Weiße oder das Karamellmalz Rotkehlchen. Inzwischen wird das Bürgerbräu in den Radeberger-Brauereien produziert. Auch der „Gartenausschank“ ist geschlossen.

Auf der anderen Tunnelseite tauchen wir im Müggelpark Friedrichshagen auf (11): Der Blick zurück offenbart uns unsere letzten Stationen – mit Müggelbergen, Müggelturm, Rübezahl und Uferweg. Was für eine Aussicht – vor allem wenn abends die Sonne über der Müggelspree untergeht! Am Dampferhafen gibt es eine sympathische Hafenbar mit Liegestühlen, Bierbänken, Sonnenschirmen – und manchmal auch Musik. An einem der Anleger liegt das Restaurantschiff „Windflüchter. Ein Schiff, das viel erlebt hat: Gebaut 1896 als damals größter Doppelschraubendampfer zur großen Berliner Gewerbeausstellung, zwischenzeitlich Staatsyacht Kaiser Wilhelms II., im zweiten Weltkrieg versenkt, später BVG-Fähre zwischen Wannsee und Kladow. Nun darf die gut 125-Jährige entspannt dem leiblichen Genuss frönen.

Zum S-Bahnhof geht es durch den „Kudamm von Friedrichshagen“: Die Boelschestraße. Friedrichshagen wurde als Kolonistendorf 1753 im Auftrag von Friedrich II. gegründet. Er lies vornehmlich Baumwollspinner aus Böhmen und Schlesien ansiedeln, die in einfachen Lehmfachwerkhäusern lebten und arbeiteten. In den Wintermonaten verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt, in dem sie Besen banden. Im Sommer verdienten sie sich etwas durch süße Maulbeeren hinzu, und pflanzten hundert Maulbeerbäume an. Bis heute wird der Ortsteil mit seinem dörflich-kleinstädtischen Flair von vielen Künstlern, Schriftstellern, Schauspielern oder Musikern bevorzugt. Regisseur Leander Haussmann wuchs hier auf und blieb seiner Heimat bis heute treu: Als Ausdruck seiner Zuneigung drehte er hier mit Sven Regener die Parodie „Haialarm im Müggelsee“.

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Mit Rad und Bahn in die Müggelberge

S Grünau (S46 S8 S85) – Fähre F12 Grünau nach Wendenschloss – Strandbad Wendenschloss – Langer See – Waldstrand – Müggelberge – Müggelturm – Teufelssee – Rübezahl – Müggelsee – Spreetunnel – Hafen und Müggelpark Friedrichshagen – Bölschestraße – S Friedrichshagen (S3) 13 km

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Michael Bartnik
Vor 20 Jahren, als ich in einem kleine Reisebüro Ferien verkaufte, brachte die Deutsche Bahn ihr legendäres Schönes-Wochenende-Ticket auf den Markt, das den Wochenendtrip viel erschwinglicher machte. Wir erfanden einen Reiseführer für Bahnausflüge.