Von Wagners Sommerhaus bis zum brutalen Straßenbahnmord

10 versteckte musikalische Orte in Dresden

Dresden ist voller musikalischer Orte. Wie das Haus, in dem Wagner seinen „Lohengrin“ schrieb, die Straße, in der ein beliebter Geiger in der Straßenbahn ermordet wurde, oder der Saal, in dem Mozart für den König spielte. Der Stadtführer und Kulturhistoriker Christoph Münch machte sich auf die Suche nach vergessenen musikalischen Spuren und sammelte sie in seinem Buch „Dresden – 500 Orte der Musik“. Die Bahn spielte auch für Musiker eine wichtige Rolle.

Die Idee zum Buch entstand, als Christoph in seiner Funktion als Stadtführer mit Gästen durch „sein Dresden“ wanderte. „Dresden ist seit Jahrhunderten eine beliebte Kunst- und Architekturmetropole, aber wenn es um klassische Musik geht, denken viele Menschen eher an Leipzig. Schon bei der Vorbereitung des Mozart-Jubiläums 2006 hatte ich aus seinen Briefen erfahren, dass Mozart eine Woche in Dresden verbrachte und hier sogar einen Job suchte. Nach und nach entdeckte ich immer mehr Details darüber, wo berühmte und weniger berühmte Komponisten und Musiker lebten, arbeiteten und feierten. Mir ist aufgefallen, dass die ganze Stadt voller Musik ist.“ 

Obwohl viele Spuren durch den britisch-amerikanischen Bombenangriff im Februar 1945 ausgelöscht wurden, haben viele andere Orte die Verwüstungen des Krieges und der Zeit danach überstanden. „Gerade in Stadtteilen außerhalb des Zentrums von Dresden stolpert man noch über diese Erinnerungen. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden in Dresden viele Villen gebaut. Die meisten Musiker und Komponisten lebten gerne in der großbürgerlichen Südvorstadt, in Blasewitz und Loschwitz. Es waren Szeneviertel, in denen man sehr gut leben konnte. Viele sind nur eine Straßenbahnfahrt vom Bahnhof entfernt.“

Wichtige Rolle der Bahn

Christoph erklärt, dass die Bahn eine wichtige Rolle in der Musikgeschichte spielte. “Kaum eine Berufsgruppe, abgesehen von Kaufleuten, Politikern und Soldaten, war so viel unterwegs wie die Musiker. Das Jet-Set-Leben von Musikern und Künstlern erhielt durch die Ankunft der Eisenbahn einen enormen Aufschwung. Das zeigt sich in Konzertplänen, Besuchen von Musikern und Künstlern und in ihrem Privatleben.“

10 Orte, die Du besuchen solltest:

1. Alter Leipziger Bahnhof: ein Meilenstein der Eisenbahngeschichte

Die Bahnstrecke Leipzig – Dresden war die erste Fernbahnstrecke auf dem europäischen Kontinent und wurde 1839 eröffnet. Die Zeitersparnis war enorm: Mit der Kutsche dauerte die Reise einen Tag, mit dem Zug verkürzte sich die 120 Kilometer lange Fahrt auf 3,5 Stunden. 

Einer der ersten Fahrgäste auf der neuen Bahnstrecke war Robert Schumann, der am Eröffnungstag, dem 8. April, mit der Bahn von Leipzig nach Dresden fuhr. Robert und Clara Schumann bewerkstelligten am 13. Dezember 1844 mit ihren Kindern Marie und Elise auch ihren Umzug mit der Eisenbahn von Leipzig nach Dresden.

Felix Mendelssohn Bartholdy war ebenfalls einer der ersten Zugreisenden von Leipzig nach Dresden. Über die bequeme und schnelle Art des Reisens berichtete er in einem Brief an einen Freund: „Ein Aufenthalt in oder bei Dresden wäre der einzige Ausflug, den wir gern machen würden; das ist aber, wie Du weisst durch die Eisenbahn nur 3 1/2 Stunden von hier entfernt.“ Auch in den Folgejahren reisten fast alle Musikgrößen mit dem Zug über den Leipziger Bahnhof (so hieß der Bahnhof in Dresden damals) an oder ab. Der Name und der Bahnhof selbst wurden 1901 durch den jetzigen Bahnhof Dresden Neustadt ersetzt. Einige Reste des historischen Bahnhofs befinden sich noch neben dem heutigen Gebäude (Hansastraße 1).

2. Richard Wagner Wohnorte  

Richard Wagner lebte immer über seine Verhältnisse. Es gab Zeiten, in denen er fast nichts verdiente: zum Beispiel in Paris, wo er vergeblich versuchte, Fuß zu fassen. Das änderte sich, als er 1842 für die gut bezahlte Stelle als Kapellmeister nach Dresden geholt wurde. Aber das Geld, das er hier verdiente, gab er auch immer sofort wieder aus. Sein Hunger nach Wein, Möbeln und teuren Stoffen war nicht zu stillen, er konnte nie nein sagen. Ständig musste er umziehen, weil er seine Miete nicht bezahlen konnte. Deshalb gibt es über die ganze Stadt verstreut mehrere ehemalige Wohnsitze Wagners. Seine letzte Dresdner Wohnung befindet sich im herrschaftlichen barocken Marcolinipalais, heute ein Krankenhaus (Friedrichstraße 20). Seine damalige Wohnung ist jetzt eine Arztpraxis. Während Wagner in Venedig starb und in Bayreuth begraben wurde, liegt das Grab seiner ersten Frau Minna Planer auf dem Alten Annenfriedhof in Dresden (Chemnitzer Str.32).  

3. Wohnorte von Robert und Clara Schumann 

Robert Schumann ist einer der bedeutendsten Komponisten aus der Zeit der musikalischen Romantik. Mit seiner Frau Clara und den Kindern lebte er von 1844 bis 1850 in Dresden. Die Familie Schumann organisierte ihren Umzug von Leipzig nach Dresden mit der Bahn. Wir wissen das, weil die Schumanns täglich Tagebuch über jedes Detail führten. Sie schrieben auch viele Briefe und es gibt sogar drei Haushaltsbücher, die erhalten geblieben sind. Das Leben von Robert und Clara Schumann lässt sich sehr gut rekonstruieren. Alte Karten zeigen genau, wo die Schumann-Häuser standen. Obwohl alle Wohnungen der Schumanns 1945 zerstört wurden, wurden zwei Orte, an denen sie musizierten, nach 1990 wieder aufgebaut: Im Coselpalais hinter der Frauenkirche gab das Ehepaar Kammermusikkonzerte. Clara Schumann führte das Klavierkonzert ihres Mannes im Hotel de Saxe (heute Steigenberger) erstmals auf. 

4. Mozart: Besuch beim König 

Aus Mozarts Originalbriefen geht hervor, dass er zu Ostern 1789 eine Woche in Dresden verbrachte. Er hat wahrscheinlich sogar versucht, hier eine feste Stelle zu bekommen. Und er hat hier für den König gespielt. Er schrieb an seine Frau: „des andern Tages spielte ich bei Hofe das Neue Concert in D; folgenden Tags Mittwochs den 15 vor-Mittag erhielt ich eine recht schöne Dose.“ Was er ihr verschwieg war, was darin war: sein Honorar. „. Mozart und später Beethoven (1796) spielten wahrscheinlich im „Musikzimmer der Kurfürstin“ des Residenzschlosses vor der königlichen Familie. Während die anderen prächtigen Paradesäle des Schlosses 2019 wieder auferstanden sind, ist heute statt des Musikzimmers das Münzkabinett zu sehen. Einen originalen Ort kann man heute noch sehen – und hören: die Silbermannorgel in der Hofkirche, der heutigen Kathedrale, auf der Mozart gespielt hatte. 

5. Mord in der Straßenbahn 

Am 20. März 1901 wurde der 34-jährige Komponist Adolf Gunkel, Geiger der Dresdner Hofkapelle, auf dem Heimweg nach einer Aufführung in der Straßenbahn von einer 49-jährigen Stalkerin mit einem Blumenstrauß belästigt. Darunter waren zwei Pistolen versteckt, die sie plötzlich herausholte und den armen Geiger in aller Öffentlichkeit erschoss. Es sieht aus wie ein Thriller, aber es ist eine wahre Geschichte. Der brutale Mordfall machte im ganzen Land Schlagzeilen. Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann ließ sich später für sein Werk „Doktor Faustus“ davon inspirieren. Gunkels Haus und Grab sind noch zu sehen (Villa Hans-Böhm-Straße 5 und Trinitatisfriedhof), der Mord in der Straßenbahn geschah in der Pfotenhauerstraße (Dresden-Johannstadt).

6. Sommerhaus Wagners, in dem Lohengrin entstanden ist 

Wagners und Webers Sommerhäuser befinden sich am Rande der Stadt und sind wunderbare musikalische Orte… Webers Sommerhaus in Dresden Hosterwitz (Dresdner Straße 44) ist heute ein Museum und sieht fast noch so aus wie in den Jahren 1818 bis 1825, als der Musiker hier war, um sich zu erholen – oder um zu seinem König im nahe gelegenen Schloss Pillnitz zu eilen. Fünf Kilometer von Webers Sommerhaus entfernt steht das Haus, in dem Richard Wagner 1846 einen dreimonatigen Sommerurlaub verbrachte. Wagner arbeitete hier vor allem an seiner Oper „Lohengrin“. Das Lohengrin-Haus und das barocke Herrenhaus Graupa beherbergen heute die Richard-Wagner-Stätten. Dieses Doppelmuseum erzählt das Leben des großen Komponisten in Bildern, Musik und interaktiven Installationen. Es ist auch das älteste Richard-Wagner-Museum in einem authentischen Wohnort Wagners.

7. Strauss arrangiert Privatzug

Auch rund um den Dresdner Hauptbahnhof ist die Geschichte lebendig. Das legendäre Hotel Sendig Europäischer Hof erhob sich bis 1945 dort, wo heute das Pullman Hotel steht (Prager Str. 2). Künstler gingen hier ein und aus.  Als Richard Strauss 1911 in der heutigen Semperoper seine Oper „Der Rosenkavalier“ zur Uraufführung brachte, spielte auch die Bahn eine wichtige Rolle. Strauss war zu dieser Zeit an der Berliner Staatsoper tätig, aber eigentlich schätzte er die Qualität des Dresdner Ensemble viel höher. Darum ließ er fast alle von ihm komponierte Opern in Dresden uraufführen. Für seine Fans organisierte er einen Sonderzug von Berlin nach Dresden. Die offizielle Premierenfeier mit einem exquisiten 6-Gänge-Menü fand im Hotel Sendig Europäischer Hof statt. Es war ideal gelegen, nur drei Gehminuten vom Dresdner Hauptbahnhof entfernt. .

Sendic Hotel Europaischer Hof, Dresden
Im Sendig Hotel Europäischer Hof gingen Künstler ein und aus. Heute steht hier das Pullman Hotel.

8. Alter Katholischer Friedhof

Willst Du der Hektik der Stadt entfliehen und in eine Oase der Ruhe eintauchen? Dann sind historische Friedhöfe ein Muss. Drei Friedhöfe in Dresden sind aus kulturhistorischer Sicht besonders interessant. Der Alte Katholische Friedhof (Friedrichstraße 54), gleich um die Ecke, wo Wagner wohnte, der Trinatisfriedhof (Fiedlerstraße 1) und der Johannisfriedhof (Wehlener Str. 13). Viele Musikgrößen sind hier begraben. Besonders schön ist der Alte katholische Friedhof, auf dem der sächsische Hofkapellmeister und Komponist Carl Maria von Weber begraben ist. Seine bekannteste Oper ist „Der Freischütz“, die vor genau 200 Jahren (1821) uraufgeführt wurde und als die erste deutsche romantische Oper gilt. Die vielen alten italienischen und polnischen Inschriften auf den Gräbern zeigen, wie international Dresden seit Jahrhunderten ist.

9. Bahnhof Dresden Neustadt: Gedenktafel Deportation 

Der alte Leipziger Bahnhof, der in den 1850er Jahren erweitert und umgebaut wurde, wurde bei der Eröffnung des neuen Bahnhofs Dresden-Neustadt im Jahr 1901 nicht abgerissen sondern als Güterbahnhof weiter genutzt. Von hier aus wurden Juden aus Dresden in Konzentrationslager und Ghettos deportiert, darunter auch der Komponist Arthur Chitz (1882-1944). Daran erinnert eine Gedenktafel am Eingang des Bahnhofs Neustadt. (Schlesischer Platz).

10. Häuser von Rubinstein und Rachmaninow

Die Bahnverbindung nach Russland brachte Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts russische Musiker nach Dresden, darunter Alexander Skrjabin als Besucher, Anton Rubinstein und Sergej Rachmaninow. Rachmaninow lebte in der Nähe des Dresdner Hauptbahnhofs. Sein ursprüngliches Haus wurde 1945 zerstört. (Sidonienstraße 6, heute Reitbahnstraße 36), aber die russische Kirche (Fritz-Löffler-Straße 19), für die er sogar die Heizung spendete, ist noch erhalten. Er verliebte sich in Dresden und kaufte hier sogar zwei Häuser als Kapitalanlage, von denen das Gebäude in der Trachenberger Straße 23 noch steht. Rubinsteins Wohnhaus in Kleinzschachwitz ist heute privat.

Buch: ‚Dresden – 500 Orte der Musik‘

Das 624 Seiten zählende Nachschlagewerk ‘Dresden – 500 Orte der Musik’ von Christoph Münch ist vollgepackt mit Informationen über die (Musik-)Geschichte Dresdens. 
 
500 Orte, verteilt über die ganze Stadt, laden dazu ein, Dresden aus einem anderen Blickwinkel (neu) zu entdecken. Und das ist nicht nur für Musikliebhaber interessant. „Es ist in erster Linie eine Kulturgeschichte. Es waren Menschen, die ein aufregendes Leben hatten. Das Buch ist voll von Anekdoten.“

Titelbeeld: photo by Tobias on Unsplash

Bart Giepmans
Seitdem sein Vater ihm eine BahnCard für die Niederlande geschenkt hat, entdeckt Bart Holland und Europa auf der Schiene. Jobs bei Interrail, der niederländischen und deutschen Bahn haben ihn zu einem enthusiastischen Botschafter für Zugreisen gemacht. Bart hat eine Leidenschaft für Geschichte, Hiking und Radfahren und pendelt regelmäßig zwischen Utrecht und Berlin.