Von der längsten Theke Europas, über lebensrettende Biertunnel bis hin zu einem wohltuenden Bierbad. Wir reisten mit einem Interrail-Pass von Rotterdam nach Plzeň (Pilsen), vorbei an Europas besten Brauereien, Bars, Biergärten und Kellern. Wir sind in die Geschichte eingetaucht – und sprichwörtlich in Pilsener in Pilsen. Alles andere als schnöder Bölkstoff! Railtripping zeigt Dir, wie überraschend geschichtsträchtig, innovativ und nachhaltig der Gerstensaft sein kann.
Höhepunkte auf dieser Reise:
Rotterdam: Brennpunkt der Innovation
Rotterdam ist nicht nur eine weltberühmte Stadt der Architektur, sondern auch bekannt für seine vielen originellen, nachhaltigen Entwicklungen: Von klimaneutralen Gebäuden, pflanzlichen kulinarischen Fundstücken und der Wiederverwendung von Materialien. Dieses bunte „lebende Labor“ ist eine Brutstätte für innovative Unternehmer, die sich auf eine grünere Wirtschaft konzentrieren.
Diese Reise steht ganz im Zeichen des Bieres. Also starten wir bei der traditionellen Bierbrauerei Vet & Lazy, die sich im Untergeschoss des ehemaligen subtropischen Badeparadieses Tropicana (Maasboulevard 100) befindet. Diese einzigartige Brauerei hat nicht nur tolle Biere mit großartigen Namen wie ‚Your Mother‘ und ‚Disco Volante‘, sie werden auch aus Restprodukten gebraut, wie z.B. selbst gerösteten Kaffeebohnen aus der „Low-Waste-Foodbar“ Aloha und übrig gebliebenen Austernpilzen der Gärtnerei Rotterzwam. Beide Unternehmen befinden sich ebenfalls im ehemaligen Schwimmbad und sind auf jeden Fall einen Besuch wert.
Bei Brewdog (Meent 131) sitzen wir an der längsten Bar der Stadt und hier wird das Bier direkt aus den Tanks über der Bar ausgeschenkt. Die Biere sind unpasteurisiert und ungefiltert, was ein einzigartiges Geschmackserlebnis garantiert. Sehr beliebt sind die „Selbstbedienungstische“ (Zelfbedieningstafels), an denen man sein eigenes Bier zapfen kann.
Auch im Proeflokaal Reijngoud (Schiedamse Vest 148) wird nicht gekleckert: 24 Biere vom Fass und achtmal so viele in der Flasche. Mit der schönen Terrasse, mitten im geschäftigen Stadtzentrum, werden Sie hier eine Weile nicht mehr weggehen. Zum Glück übernachten wir in Laufnähe zum Bier und zum Bahnhof, im Hotel The James.
Weite Aussichten nach Süden
Weiter gen Süden! Das futuristische, bumerangförmige Bahnhofsgebäude von Rotterdam hat die Anziehungskraft eines Flughafens. Europa liegt Dir hier zu Füßen: Paris, London, Amsterdam. Wir lassen es ruhig angehen und nehmen zunächst den Zug nach Brüssel. Wir fahren durch den Südwesten der Niederlande und die belgische Landschaft und sehen viel Wasser, schönen Himmel und weite Ausblicke. Wir überqueren den Fluss Hollands Diep und nähern uns unserem südlichen Nachbarn.
Wir steigen in Mechelen um, einem versteckten Juwel, wo wir in einem echten Brauerei-Hotel (Hotel Het Anker) übernachten. Das Praktische an einem Interrail-Pass ist, dass Du Dich nicht festlegen musst. Einfach flexibel einen Zwischenstopp einlegen, um irgendwo eine oder mehrere Nächte zu bleiben, bevor es weitergeht. Großartig für Spontanität!
Leuven: Die längste Bar Europas
Ein Intercity-Zug bringt uns direkt ins Herz von Leuven, einer Stadt mit einer reichen Brauereigeschichte: Die belgische Bierhauptstadt! Hier ist der Gerstensaft tief mit den Genen der Stadt verwoben. Studieren mit Schwipps: Die vielen Studierenden der Katholieke Universiteit Leuven – gegründet im 15. Jahrhundert und damit die älteste Universität Belgiens – sind auch begeisterte Kneipenbesucher. Im Laufe der Jahre sind so viele Kneipen am Grote Markt entstanden, dass er symbolisch zur „längsten Theke Europas“ geworden ist.
Wer dachte, dass Stella Artois bereits 1366 hier in Leuven gebraut wurde, wie es die Stella-Flaschen behaupten, wird enttäuscht sein. „Stella“ – Stern auf Lateinisch – wurde erst 1926 von der Brauerei Artois als Weihnachtsbier eingeführt. Die Jahreszahl 1366 verweist auf die Geschichte des Gasthauses und der Brauerei De Hoorn, die schon damals in den Steuerregistern der Stadt Leuven auftauchte“, erklärt unser Führer. Diese Brauerei wurde später von der Familie Artois übernommen und das Gebäude kann immer noch besichtigt werden. Die riesigen Kupferkessel sind erhalten geblieben und bilden die stimmungsvolle Kulisse für das jährliche Leuven Innovation Beer Festival (LIBF).
Hambos: Nachhaltige Biere
Eine der nachhaltigsten Brauereien Europas befindet sich eine kurze Zugfahrt von Leuven entfernt, in der Nähe des Bahnhofs Hambos. Die Familienbrauerei Hof ten Dormaal in Haacht ist komplett autark und versorgt sich selbst. „Alle Zutaten, vom Getreide bis zum Hopfen, werden auf unserem Hof angebaut“, sagt Brauer Jef Janssens. „Das Getreide, das nach dem Brauen übrig bleibt, geht direkt an die Tiere auf dem Hof. So bilden wir einen geschlossenen Kreislauf in einem einzigartigen, nachhaltigen, ökologischen Konzept, bei dem wir so wenig wie möglich verkommen lassen.“
Die Brauerei ist auch einigen Experimenten mit Spezialbieren nicht abgeneigt. Denken Sie an einen Oak Aged Whiskey, ein Bier mit 12 Prozent Alkohol. „Wir lassen ihn vier Monate lang in Eichenfässern reifen, die noch das Aroma des Whiskeys enthalten. Das gibt dem Bier einen vollen, würzigen Whiskey-Geschmack.“ Diese Version ist auch für Gin erhältlich. Gut, dass wir mit dem Zug gekommen sind, denn wir können nicht mehr geradeaus laufen… Wir übernachten komfortabel im Martinskloster aus dem 16. Jahrhundert, im historischen Zentrum von Leuven.
Großer Bahnhof, große Architektur
Mit so viel Hopfen und Malz intus müssen wir mal Strecke machen! Am nächsten Tag fahren wir von Leuven 600 Kilometer mit dem Zug einmal quer durch Deutschland nach Nürnberg. Beim Umsteigen am Bahnhof von Luik-Guillemins (Lüttich) offenbart sich ein architektonisches Juwel. Einer der Vorteile des Reisens mit der Bahn: einzigartige Entdeckungen am Wegesrand. Die gewölbte Stahl-Glas-Konstruktion des spanischen Architekten Santiago Calatrava wirkt in dieser tristen Stadt etwas deplatziert, ist aber ein futuristisches Meisterwerk.
Bierexpress mit Tempo 300
Wenn nach drei Stunden die Skyline von Frankfurt am Main zu Ihrer rechten Seite auftaucht, fühlen wir uns einen Moment wie „in den Staaten“. Am Frankfurter Hauptbahnhof haben wir genügend Zeit, um uns ein Sandwich oder eine Zeitschrift zu kaufen, bevor die Fahrt in Richtung München weitergeht.
Entlang des Mains und durch sonnenverwöhnte, hügelige Weinberge fährt der ICE eineinhalb Stunden später in die charmante Stadt Würzburg ein. Willkommen in Bayern! Und schon hat man ein Urlaubsgefühl. Die fruchtigen Silvaner-Trauben, aus denen die weltberühmten, würzigen, trockenen Weißweine dieser Region gekeltert werden, können fast direkt am Bahnhof geerntet werden.
Doch wir folgen der Bierspur und obwohl München als Endstation und wegen des Oktoberfestes naheliegend wäre. Nein, wir steigen im eher obskuren Nürnberg aus, das in Sachen Bier einige Überraschungen für uns bereithält. Der Abend wird vielversprechend: Alle paar Meter gibt es einen Bierkeller oder Biergarten, wo man viel Bier trinken und erstaunlich gut essen kann.
Nürnberg: Bier rettet Leben
„Bier hat uns das Leben gerettet“, sagen die Nürnberger, die die alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs überlebt haben. Tatsächlich fanden sie Zuflucht in den aus dem 13. Jahrhundert stammenden, in den Fels gehauenen und miteinander verbundenen Bierkellern. „Trotz der intensiven Bombardierung verloren weniger als 7.000 Einwohner ihr Leben“, erklärt unser Führer. „Das ist schlimm, aber bemerkenswert wenig und liegt an den Bierkellern.“ In den Kellern sind noch Reste von Markierungen aus dem Krieg zu finden.
Dies war nicht das einzige Mal, dass die Gerste als Retter gesehen wurde. Im Mittelalter ersetzte es nicht trinkbares Wasser. Das waren noch Zeiten… Ein wichtiges Jahr in der bayerischen Festungsstadt ist das Jahr 1303, als der Stadtrat das Reinheitsgebot verabschiedete. Es legte fest, dass nur Gerstenmalz zum Brauen verwendet werden durfte. Dieses Gesetz markiert den Beginn der Nürnberger Biergeschichte.
In der handwerklichen Hausbrauerei Altstadthof kannst Du unterirdisch das größte Kellerlabyrinth Süddeutschlands aus dem Jahr 1380 erkunden. Die Keller werden auch heute noch für die Reifung und Lagerung von Spezialbieren (z.B. Rotbiere, eine Nürnberger Spezialität!) und Bierschnäpsen genutzt.
Plzeň: Geburtsort des Bieres
Im Regionalzug geht es von Nürnberg durch den Kiefernwald im Westen Bayerns bis zur tschechischen Grenze. Wir merken sofort, dass wir im Land mit dem höchsten Bierkonsum der Welt angekommen sind. Selbst der lokale Bummelzug nach Plzeň (Pilsen) sorgt für nährreiche Verpflegung: Mit Qualitätsbier in Flaschen.
Diese historische Stadt ist der Geburtsort des Lagerbieres, das hier 1842 erfunden wurde. Es ist die Heimat von Pilsner Urquell (Plzeňský prazdroj), dem ersten Lagerbier der Welt, das das Bier inspirierte, das heute weltweit als „Pils“, „Pilsner“ oder „Pilsener“ verkauft wird. Das klare Bier wird bei niedriger Temperatur gebraut und hat diese attraktive gelbe Farbe, die es besser bekannt macht als „Heavenly Gold“ oder „Liquid Gold“.
Unter der Erde
Die böhmische Stadt gibt es ein riesiges System von Biertunneln und Gewölben aus dem 14. Jahrhundert, das durch das Historische Pilsner Untergrundmuseum zugänglich ist. Wer noch etwas probieren möchte (natürlich!), geht zur Brauerei des Pilsner Urquells: Dort kannst Du wieder bei einer Führung in die Katakomben hinabsteigen. Du erfährst alles über das legendäre Bier, das hier entstanden ist, und sich selbst von der Qualität des Tages überzeugen kann.
Wir beendeten unseren Bier-Hopping-Railtripp in der Kleinbrauerei und dem Biergarten Purkmistr, wo wir buchstäblich in mehrere Liter ungefiltertes und unpasteurisiertes Bier eingetauchen. Das Wasser wurde mit zerstoßenem Hopfen und Bierhefe gemischt, um die Durchblutung zu fördern. Ein echtes Bierbad! Was will man mehr? Vielleicht einen eigenen Wasserhahn für das Bad. Kein Problem, es wurde daran gedacht.