Auf den Spuren der Befreiung

Entlang der „Route der Befreiung Europas“ entdeckst Du einige der wichtigsten Orte und Geschichten des Zweiten Weltkriegs

Am 8. Mai ist es genau 75 Jahre her, dass die deutsche Wehrmacht in Berlin die Kapitulationsakte unterzeichnet hat. Damit fand der Zweite Weltkrieg in Europa endgültig ein Ende. Jetzt, wo die letzten Zeugen der dunkelsten Seiten der modernen Geschichte nach und nach verschwinden, tauchen mehr denn je Orte der Reflexion und Erinnerung auf und gewinnen an Bedeutung.

Inspiriert von vielen Geschichten rund um diese 75-jährige Freiheit, bin ich mit einem Interrail-Pass von der Normandie nach Berlin gereist, um dem Weg vom D-Day bis zum Kriegsende zu folgen – auf den Spuren der alliierten Soldaten und den vielen Orten, an denen Geschichte geschrieben wurde.

Caen: Ein Denkmal für die Freiheit (1)

Caen einzunehmen war eines der Hauptziele der Alliierten während der Invasion der Normandie. Aber die Kämpfe verwandelten einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche. Das Mémorial de Caen, ein Museum und Kriegsdenkmal, befindet sich auf einem ehemaligen deutschen Kommandoposten und ist ein idealer Start für unsere Tour.

Normandie: Strände der Landung (2-5)

Omaha Beach und der amerikanische Friedhof dort sind ebenso unverzichtbar wie die von Mondkratern übersäten Klippen von Pointe du Hoc und die Überreste des künstlichen Mulberry-Hafens von Arromanches, der der Schlüssel zum Erfolg der Invasion war.

Paris: Widerstandskommando im Untergrund (6)

In einem stillgelegten Luftschutzkeller unter dem heutigen Musée de la Liberation versammelten sich Mitglieder des französischen Widerstands, um die Befreiung von Paris von der nationalsozialistischen Besatzung zu koordinieren.

Brüssel: Militärgeschichte in tausend Teilen (7)

Das Königliche Museum der Streitkräfte und der Militärgeschichte in Brüssel (Musée Royal de l’Armée) ist ein verstecktes Juwel mit einer beeindruckenden Ausstellung über Belgien im Zweiten Weltkrieg. Über 1.000 Gegenstände sind ausgestellt, darunter Schuhe, die Gefangene auf einem Todesmarsch tragen, und der Hut des Reichsmarschalls Hermann Göring.

Arnhem/Nijmegen: Die Brücke (8)

1944 versuchten die Alliierten, im Rahmen der Operation Market Garden den Fluss Waal zu überqueren, was zum Scheitern führte. Heute ist der „Sonnenuntergangsmarsch“ eine tägliche Hommage an die Soldaten, die für die Befreiung der Niederlande gekämpft haben.

Nürnberg: Der Ort der Gerechtigkeit (9-10)

Im Gerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes wurde Geschichte geschrieben: Eine Reihe hochrangiger Nazis standen vor Gericht und mussten sich für ihre Taten verantworten.

Berlin: Die letzte Schlacht (11-12)

Am 8. Mai 1945 unterzeichnete das deutsche Oberkommando die bedingungslose Kapitulation in einer ehemaligen Offiziersmesse in Berlin, die das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa markierte.

6. Juni 1944: Der D-Day

Soldaten ducken sich, als ihr Landungsboot durch eine Welle kracht. Dann fällt die Rampe ab und die Truppen stürmen unter schwerem Gewehrfeuer ins Wasser. Sie geben alles, um den Strand zu erreichen und Deckung zu finden. Viele von uns werden mit diesen Szenen vertraut sein: Die Bilder aus „Der Soldat James Ryan“ und „Band of Brothers“ haben sich in unsere Erinnerung gemeißelt. Und das aus gutem Grund. Dies war der Ausgangspunkt auf dem Weg Europas in die Freiheit.

Als die Kämpfe Caen erreichten, lag mehr als ein Drittel der Stadt in Trümmern. Heute befindet sich Le Mémorial de Caen, ein Kriegsdenkmal und Museum, auf einem ehemaligen deutschen Kommandoposten. „Aber man findet hier keine Militärfahrzeuge oder Waffen“, erklärt unsere Führerin Maryline Leboire. „Der Gründer des Museums, ein ehemaliger Bürgermeister von Caen, wollte den Frieden fördern.“

Und das ist immer noch das Ziel des Museums, das jedes Jahr von über 400.000 französischen Schulkindern besucht wird. Schnell ist der Tag rum angesichts der vielen verschiedenen Ausstellungen und Archivmaterialien –darunter den Film „D-Day“, der den 90.000 Soldaten und 20.000 Zivilisten gewidmet ist. Oder der Film „Europa“, der mit einer ziemlich finsteren Warnung beginnt, wie zerbrechlich Frieden ist: „Wer ein ruhiges Leben wünscht, hat es schlecht gemacht, im 20. Jahrhundert geboren zu werden.“

Wenn Du die schmalen Landstraßen hinunter zu den Landungsstränden fährst, passierst Du Denkmäler für die Invasion sowie andere weniger offensichtliche Erinnerungen wie die Hecken. „Die Hecken erwiesen sich für alliierte Fallschirmjäger als unglaublich gefährlich“, erklärt unser Führer. „Oftmals kilometerweit von ihrer geplanten Zone entfernt, mussten die Soldaten ihren Weg durch die Landschaft finden, wobei ihre Sichtlinie durch die Hecken auf jedem Feld behindert wurde.“

Aus diesem Grund erhielten Fallschirmjäger ein kleines Gerät, das beim Drücken ein Klickgeräusch verursachte. „Wenn Sie einen Klick gehört haben, antworten Sie immer mit zwei, um Freund und Feind zu unterscheiden.“ Es gab nur ein Problem. Das Geräusch des Nachladens einer deutschen Waffe verursachte ebenfalls zwei Klicks, ein unglücklicher Zufall, der sich für einige Soldaten als tödlich erwies. „Am Ende mussten sie Codewörter verwenden, Wörter, die für die Deutschen schwer auszusprechen waren, wie Spritzen und Donner.“

Die Strände

Omaha Beach, vielleicht der berühmteste der fünf Landungsstrände, war Schauplatz einiger der heftigsten Kämpfe. Die Amerikaner haben den Strand eingenommen, aber dafür einen hohen Preis gezahlt: Rund 4.700 Männer von den 35.000 Landenden wurden getötet, verwundet oder vermisst. Die höchste Verlustrate aller fünf Landezonen. Der Strand wurde bald Bloody Omaha genannt.

Die amerikanischen und deutschen Militärfriedhöfe in Omaha Beach und La Cambe sind beide ergreifend und bewegende Denkmäler für die Gefallenen. Der amerikanische Friedhof ehrt die Sieger, während der deutsche durch seine Einfachheit auffällt. Wenn Du all die Kreuze siehst und darüber nachdenkst, wie viele Leben verloren gegangen sind, dann wird Dir gewahr, wie glücklich wir sein können, keinen Krieg erlebt zu haben.

Unser Führer erzählt uns die Geschichten der jungen Männer, die ums Leben kamen. Viele von ihnen nicht mal richtig erwachsen. Ein Vater und ein Sohn, beide starben, ein Onkel und ein Neffe, eine ganze deutsche Panzerbesatzung, die zusammen getötet und begraben wurden. Sogar die traurige Geschichte zweier amerikanischer Brüder, die in verschiedenen Schlachten starben, aber nach dem Krieg auf dem Friedhof in Omaha Beach wieder vereint wurden.

Schwere Verluste erlitten die Amerikaner auch in Pointe du Hoc, einer steilen Klippe zwischen Omaha Beach und Utah Beach, wo eine deutsche Batterie mit sechs Kanonen installiert wurde. Die mondähnlichen, von Kratern durchsetzte Landschaft ist bis heute ein Beweis für die Wildheit der Kämpfe, die hier vor 75 Jahren zu beobachten waren.

Operation Errinnerungsorte

Auf der Strecke Caen – Berlin gibt es unzählige Museen und Erinnerungsorte, mit vielen persönlichen Perspektiven auf die Geschichte.

In Paris können Besucher den historischen Kampf um die Befreiung der französischen Hauptstadt im nagelneuen „Musée de Liberation“ hautnah erleben. Im ursprünglich unterirdischen Kommandoposten des französischen Widerstands, 20 Meter unterhalb des Museums, koordinierte der Widerstandsheld Henri Rol-Tanguy die Befreiung von Paris. Per Augmented-Reality-Brille nehmen die Besucher die Rolle eines Journalisten ein und entdecken, was sich im August 1944 in den Räumen abspielte. Damit ist das „Musée de Liberation“ ein Pionier der bahnbrechenden Mixed-Reality-Technologie aus realen Gegenständen und virtuellen Ergänzungen.

Der „Sunset March“ in Nijmegen ist eine tägliche Hommage von Veteranen an die alliierten Soldaten, die für die Befreiung Hollands kämpften. Eine neue Brücke markiert den Ort, wo die US 82nd Airborne am 20. September 1944 im Rahmen der Operation Market Garden den Fluss Waal überquerte. Es war eine der größten Luftoperationen der Geschichte. 48 alliierte Soldaten starben hier. Auf der Brücke gedenken 48 Straßenlaternen-Paare an die Gefallenen, indem sie bei Sonnenuntergang paarweise in langsamen Marschtempo entzündet werden. Nicht weit von Nijmegen liegt Arnhem. Die dortige „Bridge too far“ erinnert ebenfalls an die Operation Market Garden.

„There is never one story“ lautet die Botschaft von Freiheitsmuseum in Groesbeek, neu eröffnet in der wunderschönen grünen Landschaft ganz nah der deutschen Grenze. Ein einzigartiger Ort: Auf diesen Wiesen landeten im September 1944 rund 8.500 U.S.-amerikanische Fallschirmjäger während der Operation Market Garden. Das Museum erweckt die historischen Ereignisse der Befreiung durch die US-amerikanischen, britischen, kanadischen und polnischen Truppen wieder zum Leben. 

Erinnerungskultur – die Geschichte ist nicht nur schwarz-weiß

Es besteht kein Zweifel, dass die schrecklichen Verbrechen gegen die Menschheit von den Nationalsozialisten in Erinnerung bleiben müssen, um künftige Generationen zu warnen und eines klar zu machen: nie wieder. Viele Museen setzen sich sehr differenziert damit auseinander und zeigen, dass diese Geschichte nicht schwarz-weiß ist, sondern es viele Grautöne gibt. Geschichten von Soldaten, Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern, Widerstandkämpfern, Zivilisten und Überlebenden des Holocaust machen verschiedene Perspektiven aus verschiedenen Ländern auf.  

Das Kriegsmuseum Overloon konfrontiert seine Besucher mit Gewissensfragen: „Würdest du mit dem Besatzer kooperieren oder für deine Ideale sterben?“. Auf dem deutschen Kriegsfriedhof in Ysselsteyn – mit 30 Hektar die flächenmäßig größte deutsche Kriegsgräberstätte in der Welt – liegen rund 32.000 deutsche Soldaten, auch niederländische Nationalsozialisten sind darunter. Nicht nur Kriegsverbrecher sind hier beerdigt, auch 1.400 Kindersoldaten, die jünger als 18 Jahre waren. Hatten sie eine Wahl? 

Die Geschichte ist oft nicht nur schwarz-weiß, betont auch Jurriaan de Mol, der niederländische Direktor von „Liberation Route Europe“. „Mein Vater Nico wurde während der Razzia in Rotterdam festgenommen und als Zwangsarbeiter nach Hamburg transportiert. Während eines Bombenangriffs der Royal Air Force konnte er aus dem Arbeitslager fliehen. Tagelang wanderte er durch feindliches Gebiet, bis er ausgehungert bei einem Bauernhof anklopfen musste. Der Bauer, Albert Macke, hatte nur einen Arm. Den anderen hatte er in Stalingrad verloren. Albert zögerte nicht, ließ mein Vater herein und zusammen haben sie es durch den Winter geschafft. So entstand eine Freundschaft, die über 30 Jahren dauerte…‘‘

Die Nürnberger Prozesse

Für die Nazis war Nürnberg sehr symbolisch und die Stadt ist zum Teil noch mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden. Es war eine von Hitlers Lieblingsstädten mit perfekt erhaltener Architektur – die mittelalterliche Hauptstadt Deutschlands mit immenser politischer Bedeutung. Für die Nazis war es der ideale Ort, um die Größe und Geschichtsverbundenheit des Deutschen Reiches zu demonstrieren.

Als Ort für die Gerichtsverfahren wurde Nürnberg ausgewählt, da die Alliierten nirgendwo sonst in Deutschland ein Gerichtsgebäude und ein Gefängnis von ausreichender Größe und Unversehrtheit finden konnten. Darüber hinaus waren viele der vor Gericht stehenden Nazis in der amerikanischen Besatzungszone, in der sich Nürnberg befand, gefangen genommen worden, da sie vor den ihrer Meinung nach unmenschlichen sowjetischen Repressalien geflohen waren.

„Das Interesse an diesem Ort ist in den letzten 30 Jahren enorm gewachsen“, erklärt Regisseurin Henrike Claussen. „Je mehr der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Laufe der Jahre Schlagzeilen gemacht hat, desto mehr Besucher sind hierher gekommen.“ Der Gerichtssaal, der bis Februar 2020 in Betrieb war, ist heute ein Museum, das einem entscheidenden Moment in der Weltgeschichte gewidmet ist. Besucher können sich über die Kriegsverbrecher, die Gerichtsverfahren und die Auswirkungen bis heute informieren .

Neben dem Gerichtsgebäude strömen zahlreiche Besucher auf das frühere Reichsparteitagsgelände der NSDAP, ein riesiges Gebiet im Süden der Stadt. Du kannst immer noch die riesige Kalksteintribüne sehen, von der aus Hitler während der Kundgebungen seine Reden hielt – ebenso die Kongresshalle und die Große Straße. „Es ist wirklich eine ziemliche Belastung für die Stadt. Lange wusste niemand, was er damit anfangen sollte“, sagt unser Stadtführer Werner. „Die Wiederherstellung hat uns 70 Millionen Euro gekostet, aber wir können sie nicht wirklich nutzen.“ Trotz der Kosten erkennt die Stadt natürlich die historische Bedeutung des Ortes und bewahrt sie für zukünftige Generationen. „Es hilft uns, die Macht der Propaganda zu demonstrieren“, sagt Werner.

Die finale Schlacht

Ein wichtiger Ort in Berlin für das Ende des Zweiten Weltkrieges ist das „Deutsch-Russische Museum“. In diesem ehemaligen Offizierskasino der Wehrmacht unterzeichnete das deutsche Oberkommando am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation. Die Dauerausstellung dokumentiert den Eroberungs- und Vernichtungskrieg, den das Deutsche Reich seit dem 22. Juni 1941 gegen die Sowjetunion führte – aus deutscher und sowjetischer Sicht.

Das „Sowjetische Ehrenmal“ im Treptower Park in Berlin ist die größte Kriegsgräberstätte in ganz Deutschland, das den etwa 80.000 sowjetischen Soldaten gewidmet ist, die bei der Einnahme Berlins ihr Leben ließen.

Du kannst aber auch das Berliner Alliiertenmuseum besuchen, um mehr über die Geschichte der Westmächte in Berlin zu erfahren. Die stummen Zeugen der Schlacht von Berlin haben wir in einem separaten Beitrag zusammengetragen.

Hilfreiche Hinweise

Mit einem Interrail-Pass kannst du unbegrenzt mit dem Zug in mehr als 30 europäischen Ländern reisen (einschließlich Hin- und Rückfahrt von einer DB-Station deiner Wahl) und Orte der Liberation Route besuchen. Ein Pass für 7 Tage innerhalb eines Monats kostet 335 EUR (First Class 446 EUR). Interrail.eu

Das Mémorial de Caen bietet eine ganztägige Führung vom Bahnhof Caen an, einschließlich Abholung und Besichtigung des Denkmals und der Landungsstrände. www.memorial-caen.fr.

Um mehr über Sehenswürdigkeiten entlang der Liberation Route Europe („Route der Befreiung“) zu erfahren, gehe auf www.liberationroute.com.

Fahrzeiten

RouteDauerVerbindung
Caen

Paris
2:00 StdDurchgehende Regionalzüge
Paris

Brüssel
1:25 StdDurchgehende Thalys-Züge
Brüssel

Nijmegen / Arnheim
3:00 StdIntercity Züge mit Umsteigen in Breda
Arnheim

Nürnberg
5:20 StdICE’s mit Umsteigen in Duisburg, Köln oder Frankfurt
Nürnberg

Berlin
3:00 StdDurchgehende ICE-Züge
Bart Giepmans
Seitdem sein Vater ihm eine BahnCard für die Niederlande geschenkt hat, entdeckt Bart Holland und Europa auf der Schiene. Jobs bei Interrail, der niederländischen und deutschen Bahn haben ihn zu einem enthusiastischen Botschafter für Zugreisen gemacht. Bart hat eine Leidenschaft für Geschichte, Hiking und Radfahren und pendelt regelmäßig zwischen Utrecht und Berlin.

Redaktion: William Simpson. Fotos: Bart Giepmans.