Westerland: Mit der Bahn auf DIE Insel
So oft stand ich auf dem Weg zur Uni nach Bochum am Gleis in Essen und las weiß auf blau die leuchtende Anzeigetafel: Westerland/Sylt. Seufz! Der Ohrwurm der Ärzte-Songs kam Hand in Hand mit der geballten Ladung des besungenen Gefühls „Oh ich hab‘ solche Sehnsucht, ich verliere den Verstand! Ich will wieder an die Nordsee. Ich will zurück nach Westerland“ – aber keine Chance für mich. Anstatt in der Nordseebrise Westerlands steckte meine Nase in meinem leeren Studentinnen-Portemonnaie und ich zählte die Geldmünzen. Weder eine Reise nach Westerland noch irgendein anderer Urlaub war damals drin.
Vom tiefen Westen in den hohen Norden
Ein paar Jahre später ist es nun soweit! Ich steige an einem milden Dezembermorgen mit meinem Mann am Essener Hauptbahnhof in den Intercity. Den Songtext der Ärzte hab ich wieder im Ohr. Sechseinhalb Stunden später wird er uns auf der Deutschen beliebtesten Insel ausspucken – und ja, ihr habt richtig gelesen: Mit der Bahn, in einem Zuge direkt durch. Über das Meer. Genau genommen über den Hindenburgdamm quer durchs Wattenmeer. Und obwohl ich zugegebenermaßen nicht sehr oft für Naturerlebnisse verreise – dieses Mal bin ich sehr gespannt auf die Überfahrt und die Insel und freue mich auf ein paar gemütliche Tage abseits des turbulenten Stadtlebens.
Viel Platz und Zufriedenheit für den Zwei-Meter-Mann
Mit der Gemütlichkeit nehmen wir es übrigens genau, mein Mann und ich. Jeder auf seine Weise. Und mal ehrlich? Welches Beförderungsmittel ist so bequem wie die Bahn, wenn frau einen Reisegefährten hat, der an der Zweimetergrenze kratzt? Ich höre kein Gemecker über zu wenig Platz vorne, keine Gemopper über Sitze, deren Rückenlehnen oben zu früh enden – herrlich, so kann der Urlaub beginnen!
In einem Zug bis (fast) an den Strand
Also lehnen wir uns zurück, lesen und prüfen von Zeit zu Zeit, ob die Landschaft flacher wird. Nach Hamburg geht das los – übrigens könnte der kompromissbereite Urlauber hier natürlich für ein paar Tage Halt machen und einen Städtetrip mit anschließendem Inselurlaub verbinden. Und je nordischer die Namen der Bahnhöfe klingen – Itzehoe, Husum, Niebüll – desto platter das Land und umso weiter der Blick und näher das Meer. Richtig schön, ehrlich wahr. Jetzt gilt es aufzupassen, um den Moment nicht zu verpassen, in dem in der Bahn sitzend auf beiden Seiten das Wasser zu sehen ist.



Acht Kilometer Bahnfahrt quer durchs Wattenmeer
Das Sylter Universalgenie Christian Peter Hansen hatte bereits 1856 die Idee, dass es recht nützlich sein könnte, die friesische Insel mit dem Festland zu verbinden. Aber erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1927, konnte der Damm nach vier Jahren Schwerstarbeit vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg eröffnet werden. Der Geschichte nach verlieh aber nicht er selbst dem Damm seinen Namen, sondern die Idee entsprang der Laune eines Westerländer Stadtvertreters und setzte sich fest – und so ermöglicht er Jahr für Jahr unzähligen Touristen die Überfahrt per Zug nach Sylt. Aber auch Auto- und Lastenzüge nutzen die Trasse.
Per Bus und Rad – nachhaltig und entspannt die Insel erkunden
Wir hatten uns gegen die Mitnahme eines Autos entschieden, wollen Sylt von unserem Ferienort Keitum aus zu Fuß oder per Bus erkunden. Das milde Wetter bringt uns jedoch auf die Idee, uns Fahrräder zu leihen. Aber nur, wenn es E-Bikes sind, lautet meine Bedingung. Denn die Brise in Sylt ist typisch nordisch: steif! Und so radeln wir dem Wind entgegen durch die wildschönen Dünen und idyllischen Örtchen mit ihren reetgedeckten Häusern oder entlang des Rantum-Beckens, wo die größte ornithologische Artenvielfalt Norddeutschlands herrscht – und all das wäre nur halb so beschaulich, müsste ich den Drahtesel ohne motorisierte Unterstützung fortbewegen. Ich glaube sogar, dass ich ohne teilweise gar nicht vorankommen würde. Und das allerbeste nachdem jedes Körperteil spürt, dass es wirklich am nördlichsten Ende Deutschlands unterwegs ist: Die Einkehr in den gemütlichen, warmen Lokalen mit fabelhaften Sylter Spezialitäten – am besten ganz dicht am Weltnaturerbe Wattenmeer, wo das Rauschen der Wellen zu hören und die Kraft der Nordsee aus der Distanz zu spüren ist.

Titelfoto: Luftaufnahme Hindenburgdamm von Ralf Roletschek