Das Pompeji an der Oder: Festungsstadt Kostrzyn im Dornröschenschlaf

Mauern ragen aus dem Gestrüpp. Eine Pflastersteinstraße schlägt eine Schneise durch das Grün, mit Bordsteinen und Gehwegen, alte Schienen ragen hervor. Es geht ein paar Stufen hinauf, hier scheint ein Hauseingang gewesen zu sein. Ein leerer Denkmalsockel. Dort hinten: Der Grundriss, das Kreuz, das muss eine Kirche gewesen sein. Gegenüber: Die Freitreppe zum früheren Schloss hinauf, ein gefliestes Bad ist erkennbar.

Von der alten Festungsstadt Küstrin sind nur noch die Straßen und Fundamente geblieben, einige Stadttore und die mächtigen Bastionen: gleich einem untergegangenen Pompeji. Ein bedrückend beeindruckender Ort. Die Stadt zwischen Warthe und Oder war eine wichtige brandenburgisch-preußische Festung und zwischenzeitlich sogar Hauptstadt der Neumark. Kurz vor dem tragischen Ende hatte die Garnisonstadt 24.000 Einwohner, ein paar Fabriken, Verwaltungen und drei Straßenbahnlinien.

Um 1730 war hier Kronprinz Friedrich II. – später „der Große“ – inhaftiert, nachdem er mit Hans Hermann von Katte nach England fliehen wollte. Vom Kerker in der Bastion Brandenburg musste er zusehen, wie sein Freund hingerichtet wurde. Eigentlich wollte der Vater, Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. seinen Sohn für Flucht und Liebelei auch hinrichten lassen, doch Gerichte wussten das zu unterbinden.

Im Zweiten Weltkrieg war Küstrin strategischer Widerstandspunkt gegen den Vormarsch der Sowjetarmee. Verbissen wurde gekämpft, bis die einst lebendige Stadt in Schutt und Asche lag. Als die Oder-Neiße-Linie zur Staatsgrenze deklariert wurde, versank das Ruinenfeld mit all seinen Sehenswürdigkeiten im Dornröschenschlaf.

Seit der Öffnung der Grenze in den 1990er Jahren herrscht im heutigen Kostrzyn Aufbruchstimmung. Das Berliner Tor wurde saniert, darin ist die Stadtinformation eingezogen. Die Katakomben der alten Bastionen sind bei Führungen und Festen zugänglich, zum Beispiel während der Festungstage im September. Wer billig einkaufen möchte, macht noch einen Streifzug über den „Polen-Markt“ (Bazar).

Umgeben ist Kostrzyn von ausgedehnten Wäldern und Flussauen. Das Delta der Warthemündung (Ujście Warty) mit seinen 240, teils seltenen Vogelarten, Kanälen und Altarmen wird als Nationalpark geschützt. Südlich der Altstadt, immer an der Landstraße entlang (1½ km), wartet die Nationalpark-Verwaltung mit einem Aussichtsturm und einem Erlebnisgarten auf. In der Neustadt befindet sich ein kleines Naturkundemuseum. Hier kann man Fahrräder ausleihen, um Nationalpark und Altstadt zu erkunden.

Berlin → Kostrzyn/Küstrin

1:30 Stunden Fahrzeit durch’s Oderbruch
Stündlich Züge der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB26)
ca. 12 € pro Richtung, ca. 9 Euro Kinder/BahnCard, 22 Euro VBB-Tageskarte
29 Euro für Gruppen mit Brandenburg-Berlin-Ticket (Automat/App)
www.neb.de

Führungen durch die Altstadt und den Nationalpark unter www.tourist-info-kostrzyn.de

Michael Bartnik
Vor 20 Jahren, als ich in einem kleine Reisebüro Ferien verkaufte, brachte die Deutsche Bahn ihr legendäres Schönes-Wochenende-Ticket auf den Markt, das den Wochenendtrip viel erschwinglicher machte. Wir erfanden einen Reiseführer für Bahnausflüge.